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Ferenc Nádasdy
Ein Beispiel für barocke Hofkultur in Ungarn

Quellen und Studien

Geisteswissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen haben sich im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsvorhabens zum Ziel gesetzt, das Hofleben und die barocke Hofkultur des Grafen Ferenc Nádasdy (1623–1671), einer der wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit in Ungarn, zu erforschen und die gewonnenen Ergebnisse sowohl in Druckform wie im Internet zu veröffentlichen. Im Laufe des insgesamt fünf Jahre lang (2008–2012) andauerndes Projektes wurden die in den Archiven (vor allem im Ungarischen Staatsarchiv und im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv) in großer Anzahl vorhandenen Nádasdy-Quellen erfasst, aufgearbeitet und ausgewertet. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Inventarlisten der verschiedenen Nádasdy-Schlösser: sie werden nicht nur wissenschaftlich ausgewertet, sondern auch im vollen Umfang transkribiert sowie durch ihre Veröffentlichung auch für andere Forscher verfügbar gemacht. Dies soll unter anderem auch dazu dienen, dass möglichst viele der als „verloren“ angesehnen Nádasdyschen Kulturgüter, die nach Konfiszierung seiner Güter im Jahre 1670/1671 überallhin zerstreut wurden, durch die Forschung identifiziert werden. Ein Itinerarium Nádasdys, das alle seine bekannten Aufenthaltsorte chronologisch auflistet, wird auch erstellt.

Dieses Forschungsvorhaben ist deshalb notwendig geworden und wurde ins Leben gerufen, weil sowohl die Historiographie wie auch die Kulturgeschichtsschreibung bis heute eine eingehende Aufarbeitung von Nádasdys Leben und Aktivitäten schuldig blieben; dies trotz der Tatsache, dass der Graf zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der ungarischen Aristokratie um die Mitte des 17. Jahrhunderts gehörte. Er war Oberster Landesrichter Ungarns und hatte in der politischen Hierarchie zeitweilig de facto die ranghöchste Stelle nach dem König inne. Man betrachtete ihn damals als den reichsten Mann Ungarns. Doch seine widersprüchliche, für Zeitgenossen ebenso wie für die Nachwelt unklare Rolle in der so genannten Magnaten- oder Wesselenyi-Verschwörung (eine konspirative antihabsburgische Bewegung innerhalb des ungarischen Adels) hatte einen gehörigen Anteil daran, dass die auf eindeutige Helden fokussierende Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts mit Nádasdy wenig anzufangen wusste. Die Nichtbeachtung durch Historiker wurde lediglich durch zahlreiche unkommentierte Quellenpublikationen etwas gemildert. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass Nádasdy von der Nachwelt die ihm gebührende und seiner Bedeutung angemessene Aufmerksamkeit erst durch die Beachtung seines Mäzenatentums und seiner Kunstschätze erhalten hat. Es ist vor allem ein Verdienst des österreichischen Archivforschers Alfred Sitte, der in den Akten den vielfältigen Reichtum der Besitztümer des 1671 hingerichteten Nádasdy wiederentdeckte und durch mehrere Publikationen (1899, 1900, 1902, 1907, 1908) öffentlich machte. Ungarische Kunst- und Kulturhistoriker folgten ihm und machten mit der Zeit zahlreiche weitere Details bekannt. Obzwar man inzwischen einiges über manche Nádasdy-Schlösser und über die Schlossinventare, wie auch über einige Kunstgegenstände sowie über das Mäzenatentum Nádasdys weiß und es etliche Informationen über das Hofleben an den Nádasdy-Residenzen gibt, bleibt das Gesamtbild über diese bedeutende und beispielhafte Erscheinung barocker Hofkultur in Ungarn weiterhin sehr bruchstückhaft. Es fehlt noch immer eine gründliche gezielte Aufarbeitung aller erreichbaren Nádasdy-Dokumente.

Dies hat sich jetzt dieses Gemeinschaftsprojekt zum Ziel gesetzt: Durch Erforschung und Neubewertung der Quellen ein aktuelles Gesamtbild des Nádasdy-Mäzenantentums und der Gesamtkultur der Nádasdy-Höfe aufzuzeichnen und gleichzeitig in einen europäischen Zusammenhang zu stellen.

Am Projekt beteiligen sich:

Enikő Buzási (Leiterin) Kunstgeschichte, Malerei
Péter Király Hofmusik
Erika Kiss Goldschmiedekunst, Kunstkammer
Katalin Toma Geschichte
Noémi Viskolcz Buch- und Bibliothekswesen

Das Vorhaben „Nádasdy” wurde vom OTKA (Ungarischer Förderungsfond der wissenschaftlichen Forschung) unterstützt und finanziert.